Am 23.6.16 haben sich 52 % der Wähler im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland für einen Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen. Am 28.3.2017 hat dann die Premierministerin den Brexitantrag an Brüssel übermittelt. Damit hat eine 2-jährigen Phase begonnen, in der die Modalitäten eines Austritts geregelt werden sollten.
Diese Modalitäten sind nicht leicht zu klären. Großbritannien war solange Teil der Europäischen Union, dass es in praktischen allen Bereichen des staatlichen Lebens eng mit der EU verflochten ist. Viele Gesetze existieren nur auf EU-Ebene; Verträge mit anderen Staaten sind oft stellvertretend für alle Mitgliedsländer vereinbart worden. So konnte die EU besondere Konditionen aushandeln, die ein Land allein nie erhalten hätte.
Besonders betroffen sind die EU-Bürger, die sich auf diese Regeln verlassen haben. Viele Briten leben in anderen Staaten Europas, viele Europäer in Großbritannien.
Für alles, was in der EU geregelt war, muss es in Zukunft neue Regeln im Vereinigten Königreich geben. Handelsverträge müssen neu abgeschlossen werden; die Aufenthalts- und Arbeitsrechte von Bürgern in den jeweils anderen Ländern müssen geklärt werden. Das, wofür die EU einige Jahrzehnte mit vielen erfahrenen Beamten gebraucht hat, hätte London in 2 Jahren mit unerfahrenen Mitarbeitern umsetzen müssen. DAS KONNTE NICHT GUT GEHEN!
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Dass es allerdings so katastrophal wird, hatten wir alle nicht erwartet. Das Land ist inzwischen völlig zerstritten. Für keine Idee existiert eine Mehrheit. Das Parlament und die Regierung geben ein dermaßen schlechtes Bild ab, dass niemand mehr weiß, wie es weitergehen wird. Soll der ausgehandelte Vertrag gelten? Oder werden Änderungen eingebaut? Gibt es vielleicht ein neues Referendum? Oder zieht die Regierung den Antrag vielleicht ganz zurück?
Die Unsicherheit führt dazu, dass alle, die es können, fluchtartig das Land verlassen. Neue dringend benötigte Mitarbeiter aus anderen Staaten vermeiden es, nach England zu gehen. Investitionen werden keine durchgeführt. Internationale Forschungsprojektanträge bleiben in den Schubladen. Bisher bekannte Fakten sprechen eine deutliche Sprache.
Unter dem Druck einer signifikanten Verschlechterung ihres Zugangs zum Kontinent hat etwa die eminent wichtige Finanzbranche umfangreiche Jobkürzungen am Finanzplatz London beschlossen. Goldman Sachs hat Büros in Frankfurt, Paris und Mailand verstärkt, die Bank of America verlegt ihren Europa-Hauptsitz nach Dublin, die großen australischen Banken CBA und Macquarie haben Dependancen in Amsterdam und Dublin gegründet. Einer Studie des Beratungsunternehmens EY zufolge planen rund ein Drittel von 222 befragten Finanzunternehmen den teilweisen oder gänzlichen Wegzug aus London.
Der Schaden für die Wirtschaft ist schon jetzt immens. Inzwischen wäre selbst ein „No Deal“-Brexit besser als dieses Warten auf eine Entscheidung in London.
Dabei ist eines klar: Das Vereinigte Königreich wird auch weiterhin ein wichtiger Handelspartner für Deutschland und in die EU bleiben.
Das Vereinigte Königreich unterhält enge wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen zur Europäischen Union. 44,4 % der Exporte und 53,6 % aller britischen Importe wurden 2015 mit EU-Staaten abgewickelt. Damit ist die EU der mit Abstand wichtigste britische Handelspartner. Umgekehrt gehen nur etwa 6,5 % aller EU-Exporte an das Vereinigte Königreich.
Für Deutschland ist Großbritannien der drittgrößte Handelspartner. Im Jahr 2016 exportierte die Bundesrepublik Güter im Wert von 86,145 Milliarden Euro in das Königreich, was einem Anteil von 7,1 % aller deutschen Exporte entsprach.
Neben den Außenhandelsverflechtungen mit EU-Staaten ist das Vereinigte Königreich über die EU-Mitgliedschaft an 33 Freihandelsabkommen mit insgesamt 62 Drittländern beteiligt. Damit hängen 63 % des britischen Außenhandels direkt oder indirekt mit der EU-Mitgliedschaft zusammen.
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Die gewachsenen Beziehungen zwischen Firmen und Bürgern auf beiden Seiten des Ärmelkanals werden nicht von heute auf morgen abbrechen. Auch wenn alles bürokratischer und teurer wird, werden wir weiter zusammen arbeiten müssen und wollen.
Unser Verband hat es sich zur Aufgabe gemacht, unseren Mitgliedern die Randbedingungen für den wirtschaftlichen Erfolg zu vereinfachen. Dazu gehört das Fördern von direkten Kontakten zwischen Kunden und Lieferanten, zu Entwicklungspartnern und öffentlichen Entscheidungsträgern. Das gilt besonders in Zeiten eines Umbruchs wie dem Brexit – für unsere deutschen und britischen Mitglieder.
Die einmal im Jahr stattfindende Konferenz „Systems Integration“ soll deshalb im Herbst 2019 – nach dem Brexit (?) – in Warrington, Nordengland bei einem unserer Mitglieder stattfinden. Das Hauptthema wird die Herstellung und der Einsatz von mikrofluidischen Bauteilen, insbesondere im Bereich der Life Sciences sein. Hier sind wesentliche Player in England ansässig, wichtige Partner für deutsche Unternehmen. Wir wollen damit die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Unternehmen fördern bzw. initiieren.
Die praktische Umsetzung von Wirtschaftsbeziehungen nach einem Austritt aus der EU wird einige Herausforderungen mit sich bringen. Wer sich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt hat, sollte dies schnellst möglich nachholen. Wie üblich, bieten die IHKs schon jetzt erste Hilfe, z.B. eine Brexit-Checkliste für Unternehmen.
Wie auch immer die Sache ausgeht, ob England in der EU bleibt oder geht, mit Deal oder ohne Deal, schon jetzt ist eines klar: Die politischen Institutionen als Einrichtungen, um Kompromisse zu suchen, Entscheidungen zu ermöglichen, trotz unterschiedlicher Wünsche und Bedürfnisse, haben großen Schaden genommen.
Die Politikverdrossenheit der Bürger wird immer größer. Die Gefahr, dass extremistische Parteien noch mehr Zulauf bekommen, wird immer größer – nicht nur in Großbritannien, sondern überall in Europa. Die nächsten Europawahlen werden eine große Zahl von Abgeordneten in das Parlament schicken, die gegen die EU arbeiten werden.
Wichtig ist – so oder so – das endlich eine Entscheidung getroffen wird und alle sich darauf einstellen können. Diese Hängepartie über Jahre darf nicht fortgesetzt werden.
Hintergrund: Im Beitrag ist schildert u.a. Patentanwalt Dr. Robert Harrison von 24IP Law Group Sonnenberg Fortmann seine Erfahrungen.