Durch die Markteinführung faltbarer Displays hielten flexible Gläser erstmalig Einzug in die Massenfertigung. Ansonsten wird Ultradünnglas mit „Dicken“ kleiner 0,1 mm in der Optik oder Mikroelektronik, aber auch in der Consumer- und Automobilbranche z. B. für Touch-Oberflächen genutzt. Um Ultradünnglas als Alternative zu Polymerfolien für Anwendungen jenseits faltbarer Displays fest zu etablieren, müssen angepasste Produktionsprozesse entwickelt werden. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Vermeidung kostenintensiver Produktionsausfälle aufgrund des mechanischen Versagens der Gläser. Bisher wird der Einsatz dieses innovativen Substratmaterials durch die hohen Anforderungen an die Prozesse limitiert.
Das Fraunhofer FEP beschäftigt sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit der Prozessierung von Ultradünnglas, insbesondere dem Handling und der Entwicklung von Beschichtungen.
Neben der Beschichtung sind die Reinigung und Handhabung sowie die Feststellung von Defekten im unbeschichteten und beschichteten Glas von großer Bedeutung für die spätere Verwendbarkeit des flexiblen Glases. Eine öffentlich zugängliche Technologieplattform, mit der diese Prozessschritte durchgängig umgesetzt werden können, existierte bisher noch nicht.
Hier setzt das Gemeinschaftsprojekt Glass4Flex an. Im Verbundvorhaben wurden neue Prozesstechnologien als Wegbereiter für flexible Glasanwendungen für optische und /oder elektrische Anwendungen der nächsten Generation entwickelt. Entwickler von solchen Systemen können nun auf die Plattform am Fraunhofer FEP zugreifen. Die Prozessstrecke umfasst eine Ultraschall-Nassreinigungsstrecke der SCHMID Group, in der Glassheets inline gereinigt werden können. Zur Überwachung der Reinigungs- und Beschichtungsqualität der Gläser verfügen die Forschenden außerdem über ein Weißlichtinterferometer der Gesellschaft für Bild- und Signalverarbeitung (GBS) mbH.
Zum weiteren Handling der Dünnglassubstrate des Projektpartners SCHOTT AG wurde außerdem ein neues Transfersystem der Adenso GmbH installiert. Unter Reinraumbedingungen kann das Substrat damit berührungslos auf einem Luftkissen (air cushion floating) auf einen fahrbaren Wagen transportiert werden. Auf diesem Wagen ist bereits der elektrostatische Halter, sog. E-Chuck, der ProTec Carrier Systems GmbH installiert. Der E-Chuck fixiert das Dünnglas während des Transportvorgangs und im nachfolgenden vertikalen Beschichtungs- und Plasmabehandlungsprozesses sicher und vollflächig mittels elektrostatischer Klemmkräfte. Dies garantiert homogene thermische Bedingungen bei minimierter mechanischer Belastung und ohne jegliche Abschattung. Nach der Beschichtung können mit verschiedenen Testgeräten Zuverlässigkeitstests mit den Ultradünnglas-Sheets durchgeführt werden. Die Firma Bayflex Solutions stellte hierfür im Rahmen des Projekts CUSTOM Biegetestgeräte zur Verfügung.
Mithilfe der bereitgestellten Geräte wurden im Projekt tiefergehende Erkenntnisse über die Kantenfestigkeit und das Ermüdungsverhalten von Dünnglas gewonnen. Das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS hat gemeinsam mit dem Fraunhofer FEP dazu umfangreiche Versuche durchgeführt. Dabei wurde der Einfluss von ausgewählten Beschichtungs- und Trennverfahren auf diese Eigenschaften betrachtet. Mit den Ergebnissen können nun Parameterfelder für die zuverlässige Handhabung von flexiblem Glas besser abgeschätzt werden, z. B. minimale Wickelradien vor und nach der Beschichtung. So kann auf sich verändernde Festigkeiten im Rahmen der Prozessierung Rücksicht genommen werden. Das erhöht die Wirtschaftlichkeit der Produktion, weil Produktionsausfälle vermieden werden.
Mit der einzigartigen Prozessstrecke des Projektes Glass4Flex und den Ergebnissen aus dem Projekt CUSTOM sind die Wissenschaftler am Fraunhofer FEP in der Lage, ultradünnes Glas unter Berücksichtigung von Schichtspannungen und Glasfestigkeit sicher zu handhaben und zuverlässig zu verarbeiten. Die Forschenden am Institut bieten ab jetzt die neuen Prozessmöglichkeiten für kundenspezifische Projekte von der Beschichtung und Schichtstapelentwicklung bis zur Prozessanpassung für spezielle Kundenanforderungen an. Zudem steht die Handlingstrecke als Technologieplattform zur Verfügung, z. B. für Machbarkeitsstudien und die Entwicklung innovativer Anwendungen. Auch die Integration von z. B. Laminierungsprozessen und der Prozesstransfer bis hin zur Pilotproduktion ist nun in individuellen Projekten möglich.
Für weiterführende Diskussionen und Erläuterungen zur Prozesskette und zu den Erkenntnissen aus den Projekten CUSTOM und Glass4Flex steht das FEP auf der Konferenz V2023, vom 19. – 20. September 2023, im Kongresszentrum Dresden, gerne zur Verfügung.
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