Ines Schedwill

Fraunhofer FEP
Jul. 16, 2020
Innovation/Technology
Ines Schedwill

Fraunhofer FEP

Digitalisierung und Automatisierung machen die Reinigungstechnik zu einem effektiven Fertigungsverfahren

Das Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP arbeitet an innovativen Lösungen auf den Arbeitsgebieten der Vakuumbeschichtung, der Oberflächenbehandlung und der organischen Halbleiter und bietet damit ein breites Spektrum an Forschungs-, Entwicklungs- und Pilotfertigungs­möglichkeiten, insbesondere für Behandlung, Sterilisation, Strukturierung und Veredelung von Oberflächen sowie für OLED-Mikrodisplays, organische und anorganische Sensoren, optische Filter und flexible OLED-Beleuchtung.

Im März 2020 übernahm das Fraunhofer FEP die Geschäftsstelle von Fraunhofer Reinigung, der Hightech-Plattform rund um Reinigungsprozesse. Diese bündelt die Kompetenz von Fraunhofer-Instituten auf dem Gebiet der industriellen Reinigungstechnik mit einem Schwerpunkt auf Reinigung und Vorbehandlung in der Oberflächentechnik.

Welches Ziel haben Sie sich als neuer Sprecher von Fraunhofer Reinigung gesetzt?

Die Reinigung von Oberflächen in der industriellen Produktion steht aktuell in einer herausfordernden Situation was die zunehmende Automatisierung der industriellen Produktion generell betrifft und dem Spannungsfeld zwischen steigenden Sauberkeitsanforderungen und einem enormen Kostendruck. 

In dieser Phase ist es Aufgabe und Herausforderung zugleich, die hervorragenden Möglichkeiten der FRei auszubauen, um die führende Rolle als Kompetenzzentrum der Reinigungstechnik zu stärken und ein attraktiver Forschungspartner für unsere Kunden zu bleiben. Die Nutzung künstlicher Intelligenz, innovative Prozess-Sensorik und umweltverträgliche Reinigungsprozesse sind nur einige wenige Beispiele für aktuelle Entwicklungsrichtungen. 

Das alles erfordert eine exzellente Ausbildung von Personal, das in der Produktion in Reinigungsprozesse involviert ist. Deshalb wird auch ein wesentlicher Schwerpunkt im Ausbau der Aktivitäten in der beruflichen Aus- und Weiterbildung durch FRei liegen. Nicht zuletzt möchten wir unser Know-how international anbieten, um der globalisierten Produktion Rechnung zu tragen. 

Was bietet das Fraunhofer FEP in der Reinigungstechnik an?

Das Fraunhofer FEP als eines von 10 Mitgliedsinstituten der FRei ist auf den ersten Blick ein Forschungsinstitut für Oberflächentechnologien.

Jede Oberflächenbehandlung, sei es z.B. eine Beschichtung oder Strukturierung, erfordert eine geeignete Vorbehandlung bzw. Reinigung der jeweiligen Substratoberfläche, um die gewünschte Schichthaftung und Funktionalität der Oberfläche zu erreichen. 

Damit hat das Fraunhofer FEP eine langjährige Erfahrung in verschiedensten Reinigungstechnologien und entsprechender Oberflächenanalytik, angefangen mit klassischen wässrigen Reinigungsverfahren bis hin zur Niederdruck-Plasma-Feinstreinigung vor der PVD-Beschichtung. Sowohl die extremen Anforderungen bei der Mikroelektronik-Fertigung als auch robuste Prozesse für die Reinigung von schnell bewegten Stahlbändern spielen im Institut eine Rolle. Speziell auf den Gebieten der Medizin-, Bio- und Pharmatechnologie arbeiten wir auch an der Schnittstelle von Reinigung und Sterilisation.

Was braucht es dringend, damit auf dem Gebiet der Reinigungstechnik der nächste große Schritt gegangen werden kann?

Wenn es gelingt, die Reinigung in der Produktion nicht nur logistisch und verfahrensseitig in eine geschlossene Fertigungskette einzugliedern, sondern auch die Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung konsequent zu nutzen, bedeutet das einen großen Schritt für die Reinigungstechnik in Richtung eines effektiven Fertigungsverfahrens.

Was empfehlen Sie den Anwendern von Reinigungstechnik?

Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit hoher Geschwindigkeit auf der linken Spur der Autobahn zum nächsten Termin. Bei 200 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit könnten Sie es, wie immer, gerade so schaffen. Dann raubt Ihnen eine Staubwolke komplett die Sicht. Vollbremsung! Der Wagen schlingert, Sie werden in den Gurt gepresst, alle Assistenzsysteme greifen ein. Nach endlos erscheinenden Sekunden ohne Orientierung lichtet sich die Sicht und Sie sehen, dass Sie gerade noch so einem Frontalcrash entkommen sind, während der Wagen ausrollt. Was tun Sie jetzt?

  1. Sie treten das Gaspedal durch, scheren links aus und versuchen mit 210 km/h wieder in den eng getakteten Zeitplan zu kommen.
     
  2. Sie halten auf dem Seitenstreifen an, informieren Ihre Familie, atmen tief durch, sind dankbar, dass es all die Assistenzsysteme gab, die Sie vor größerem Schaden bewahrt haben, und fahren vorsichtig in die nächste Werkstatt, um alles prüfen zu lassen. Alles andere ist für diesen Moment erst einmal unwichtig.

Auf solch einem Schlingerkurs befinden wir uns auch in der aktuellen Covid-19 Situation und hoffen, vor dem Frontalcrash zum Stehen zu kommen. Wie werden Sie danach wieder starten? Sie haben es in der Hand!

Denken Sie darüber nach, was Ihnen die qualitätssichere Reinigung Ihrer Bauteile wert ist, und berücksichtigen Sie dabei, dass bei jedem ungenügend gereinigten Teil die gesamte vorherige Wertschöpfung zunichte gemacht und es damit wertlos wurde. Rettende „Assistenzsysteme“ sind auch in diesem Fall immer gut ausgebildete Fachkräfte für Ihre Reinigungsprozesse, deren Wert man meist erst schätzt, wenn sie einen Crash verhindern konnten. 

Wir unterstützen Kunden dabei auch mit unserem Weiterbildungsangebot! Wir bieten beispielsweise ein einzigartiges Grundlagenseminar an. Man erfährt in diesem Seminar, wie durch Änderungen der eigenen Prozesse und die Einführung von neuen Hilfsmitteln und innovativen Produkten besseren Reinigungsergebnissen in der Produktion erreicht werden. Nach dem Seminar können Teilnehmer nicht nur die Zusammenhänge von Reinigungsprozessen verstehen, sondern Stör- oder Schadensfälle strukturiert analysieren und vermindern sowie das Reinigungsergebnis selbstständig verbessern.

Zum Schluss: Nach nun fast 18 Jahren Mitarbeit und Erfahrung in der Reinigungstechnik - Was ist Ihr Rezept für einen Reinigungsexperten und was wünschen Sie sich für die Zukunft der Branche?

Wenn man in der industriellen Reinigungstechnik erfolgreich sein will, ist ein interdisziplinäres Verständnis in Verbindung mit einem kriminalistischen Spürsinn von großem Vorteil. Beides habe ich mir in den vergangenen fast 20 Jahren in der industriellen Bauteilreinigung durch die Zusammenarbeit mit unzähligen kompetenten Partnern und Kunden angeeignet. Physiker zu sein, hilft dabei. Für die Branche wünsche ich mir künftig die Anerkennung, die dieser wichtige Fertigungsschritt in der Produktion verdient.